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Lint Barrage

Je mehr Hitzetage, desto schlechter die Schulnoten

Der Klimawandel bringt massive Kosten mit sich – das hat die Ökonomin Lint Barrage in den USA erlebt und erforscht. Sie sind nicht nur im Portemonnaie spürbar, sondern auch in der Bildung.

Lint Barrage, stimmt es, dass ein klimafreundliches Leben teuer ist?
Für eine Person in der Schweiz kann das zutreffen. Aber global zeigt sich ein anderes Bild: Während das reichste Zehntel der Weltbevölkerung fast 50 Prozent der CO2-Emissionen beisteuert, verursachen die ärmsten 50 Prozent der Weltbevölkerung nur 10 Prozent. Um es zuzuspitzen: Wer in einer Wellblechhütte wohnt, kein Auto fährt und nicht in die Ferien fliegt, lebt extrem klimafreundlich – und das ist nicht teuer.

In der Schweiz denken die Leute eher an Bioprodukte im Supermarkt, den Einbau einer Wärmepumpe, den Kauf eines E-Autos. Das geht alles ins Geld.
Wer hier seinen Lebensstandard halten und gleichzeitig klimafreundlich leben will, muss in bestimmten Bereichen zunächst mehr investieren, ja.

Das wollen oder können sich aber viele nicht leisten, obwohl sie wissen, dass es klimafreundlicher wäre.
Gleichzeitig darf man nicht vergessen, dass sich Investitionen über die Zeit hinweg rentieren. Der Einbau einer Wärmepumpe kostet zwar, aber die Heizkosten sinken langfristig. Zudem macht man sich damit unabhängiger von fossilen Energieträgern, deren Preise stark schwanken können.

Trotzdem schrecken die kurzfristigen Kosten des Klimaschutzes viele Leute ab. Wie könnte man das ändern?
In der Ökonomie betrachtet man immer Kosten und Nutzen. Auf dieser Basis gibt es zwei Erkenntnisse, die für die Klimadebatte zentral sind. 

Nämlich?
Erstens unterschätzen viele den Nutzen des Klimaschutzes. Und zweitens unterschätzen viele die Kosten des Klimawandels – vor allem dann, wenn wir nichts tun.

Beginnen wir beim ersten Punkt: Wir unterschätzen den Nutzen des Klimaschutzes.
Die Kosten für den Klimaschutz sind oft sofort spürbar im Portemonnaie. Die Menschen sehen, was sie zahlen müssen – aber nicht, was sie dabei gewinnen.

Und zwar?
Wer kurze Wege zu Fuss geht statt mit dem Auto, tut etwas für die eigene Gesundheit. Weniger Autoverkehr kann die Luftqualität verbessern, was wiederum die Zahl von Atemwegserkrankungen reduziert und medizinische Kosten senkt. Diese Co-Benefits werden oft unterschätzt, obwohl sie einen direkten positiven Effekt auf unser Leben haben. Man muss sie aber sichtbarer machen.

Die Visualisierung scheint grundsätzlich ein wichtiger Punkt, weil viele positive Effekte rund um den Klimaschutz erstmal unsichtbar sind oder in der Diskussion zu kurz kommen. 
Man muss den Menschen auch direkt zeigen, was ihr Verhalten bewirkt. Schon kleine Anstösse können viel verändern. 

Sie haben lange in den USA gelebt und geforscht. Wie macht man es dort? 
Ein gutes Beispiel sind die sogenannten «Home Energy Reports». Dabei bekommen Haushalte mit der Stromrechnung eine Übersicht, wie ihr Verbrauch im Vergleich zu den Nachbarn aussieht, inklusive eines Smiley-Gesichts. Das reduziert den Stromverbrauch nachweislich um etwa zwei Prozent – eine kleine Veränderung für Einzelpersonen, aber auf die gesamte Bevölkerung hochgerechnet ist das enorm. Es zeigt, wie Informationen das persönliche Verhalten steuern können. Übrigens auch im Beruf.

Wie funktioniert es dort?
Die Pilotinnen und Piloten der Virgin Atlantic versuchten bewusst, Treibstoff zu sparen, indem sie zum Beispiel mit nur einem eingeschalteten Triebwerk zur Startbahn rollten. Dazu erhielten sie monatlich Berichte über ihren Treibstoffverbrauchs. Diese Rückmeldungen trugen wesentlich dazu bei, dass 25'000 Tonnen Kerosin und Millionen von Dollar eingespart wurden. Klar steckten da auch finanzielle Überlegungen der Airline dahinter, weil letztlich Geld gespart wurde. Es ging aber auch um den Klimaschutz.

Kommen wir zum zweiten Punkt: Wir unterschätzen die Kosten des Klimawandels.
Wir haben in den USA die ökonomischen Folgen von extremen Wetterereignissen untersucht. Häufige Waldbrände oder auch Überschwemmungen oder Stürme vermindern den Wert von Immobilien und führen zu ausfallenden Hypotheken. 

Kürzlich wurde bekannt, dass allein die Waldbrände in der Nähe von Los Angeles im Januar 2025 Schäden von 40 Milliarden Dollar verursachten. Aber bringen die Leute solche beeindruckende Zahlen überhaupt mit dem Klimawandel in Zusammenhang?
Hier kommt wieder die Sichtbarkeit ins Spiel. Die Organisation «First Street» hat einen Datensatz erstellt, in dem man für jede Adresse genau sieht, wie viele Überschwemmungen und Hitzetage es heute und in 30 Jahren geben wird. Das macht Risiken greifbar und persönlich. Viele Menschen reagieren erst, wenn sie sehen, dass ihr eigenes Haus betroffen sein könnte.



In der Schweiz sind solche Risiken und Kosten erst mit den Bergstürzen in Brienz oder Blatten stärker ins Bewusstsein gerückt. Dies betrifft aber nur relativ wenig Leute in den betroffenen Gebieten.
Es gibt ein Phänomen, das alle betrifft und enorme Kosten mit sich bringt: Hitzewellen. An heissen Tagen steigt die Übersterblichkeit, besonders bei älteren Menschen. Aber auch Jüngere landen häufiger im Spital. Arbeitsunfälle nehmen zu, die Produktivität sinkt, weil viele Menschen schlechter schlafen. Dazu kommen psychische Belastungen und steigende Aggressivität. Das sind massive Kosten, die gut belegt sind.

Die ETH-Klimaforscherin Sonia Seneviratne hat kürzlich in einer Studie gezeigt: Kinder in der Schweiz, die heute fünf Jahre alt sind, werden in ihrem Leben bis zu 42 Hitzewellen erfahren.
Das ist eine unglaubliche Zahl. Hitzewellen haben massive Folgen, zum Beispiel für die Bildung. Wir wissen aus Untersuchungen in den USA: Je mehr Hitzetage die Kinder während eines Schuljahres haben, desto schlechter schneiden sie in Leistungstests ab. 

Was heisst das genau?
Schon ein Anstieg der Durchschnittstemperatur um ein halbes Grad Celsius im Schuljahr senkt den Lernerfolg um etwa ein Prozent.

Wie erklärt sich das?
Hitze vermindert die Produktivität im Unterricht. Heisse Tage in den Sommerferien oder an Wochenenden fliessen nämlich nicht in diese Daten ein. Wir reden über sehr hohe Temperaturen an Schultagen. Es geht also um den direkten Einfluss von Hitze im Klassenzimmer – auf Konzentration, Müdigkeit und Lernfähigkeit der Schülerinnen und Schüler. 

Was folgt aus solchen Erkenntnissen?
Die Studie zeigt auch, dass Schulen mit Klimaanlagen fast den gesamten negativen Effekt neutralisieren können. In den USA konnten die Lernverluste um bis zu 78 Prozent reduziert werden. Besonders betroffen von den Leistungsschwächen sind Kinder aus Minderheiten und einkommensschwachen Haushalten, deren Schulen oft nicht klimatisiert sind.

Was heisst das für uns?
Wir sollten in der Schweiz offener über Klimatisierung sprechen. Für ältere Menschen und Kranke kann sie Leben retten. In den USA hat Klimatisierung die Sterblichkeit an Hitzetagen um 85 Prozent gesenkt. Und in Schulen könnte sie verhindern, dass Hitze zu einem systematischen Nachteil für ohnehin benachteiligte Kinder wird. Zumal moderne Klimaanlagen ökologisch wesentlich vertretbarer sind als noch die alten Modelle. 

Aber politisch ist das Thema sehr umstritten.
Ich fordere keine generelle Pflicht. Aber wir sollten alle Fakten auf den Tisch legen und dann klug abwägen. Auch Skilifte oder die Chilbi brauchen Energie, trotzdem sagen wir nicht nein dazu. Also spricht aus meiner Sicht nichts dagegen, in Altersheimen, Spitälern und Schulen ernsthaft zu prüfen, ob eine vermehrte Klimatisierung nicht sinnvoll sein könnte.

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