Ein Wettbewerb der Ideen kann nur stattfinden, wenn wirklich auch Unterschiede aufeinandertreffen. Argumentieren Frauen denn anders als Männer?
Nicht per se. «Frauen sind empathischer, Männer rationaler» – solche Klischees lehne ich ab. Aber weil wir Frauen in der Schweiz noch nicht so lange Teil der Machtverhältnisse sind, nehmen wir manchmal eine andere Perspektive ein und bringen deshalb neue Aspekte in die Diskussion ein.
Dazu müssten Frauen in ihrer Führungsfunktion akzeptiert werden. Ein häufiger Einwand lautet: Frauenquoten führen lediglich zu Quotenfrauen.
Schauen Sie, Quotenfrau meint ja: Man hat die Stelle nur bekommen, weil man eine Frau ist. Und manchmal ist da tatsächlich auch was dran. Als ich damals die Nachfolge von Roger de Weck beim Tages-Anzeiger antrat, wollte man einen Kurswechsel markieren. Wie macht man das? Zum Beispiel mit einer Frau an der Spitze. Natürlich gab es da Stimmen, die sagten: Das ist eine Alibi-Frau. Wenn die Frauen den Job dann aber so gut ausüben wie ein Mann, ist dieses Argument vom Tisch.
Aber genau das zeigt doch: Leistung setzt sich durch.
Moment, die Geschichte geht noch weiter. Es geht ja darum, dass Frauen neue Aspekte in die Diskussion einbringen. Ich habe als Mitglied der Unternehmensleitung der Tamedia aber mehrfach erlebt, dass Männer wichtige Entscheidungen vor der Sitzung unter sich aushandelten und dann versuchten, mich vor vollendete Tatsachen zu stellen. In solchen Situationen sind Sie nicht nur exponiert, sondern werden auch isoliert. Und das tun sich viele Frauen nicht an. Für meine persönliche Meinungsbildung zum Thema Frauenquote waren solche Schlüsselerlebnisse wichtig.
Das ist ein interessanter Punkt. Zur Meinungsbildung gehören nicht nur ausgewogene und nüchtern geprüfte Informationen, sagen Sie, sondern auch prägende Erfahrungen.
In diesem Fall ist es zumindest so. Die Fakten zeigen, dass sich in den letzten Jahren wenig verändert hat. Und solche Schlüsselerlebnisse legen nahe, dass sich von alleine auch in Zukunft nichts ändern wird. Um verkrustete Unternehmenskulturen aufzubrechen, braucht es eine kritische Masse an Frauen.
Und diese Masse erreicht man einstweilen nur mit einer Quote. Wie hoch sollte diese sein?
Ein Drittel.
Warum nicht 50 Prozent?
Weil die Grundidee ist, dass es nicht mehr auffällt, ob eine Frau oder ein Mann in der Sitzung ein Argument vorbringt. Mit einem Anteil von einem Drittel ist das gewährleistet.
Wir haben bisher nur von der Wirtschaft gesprochen. Braucht es auch für die Politik eine Quote dieser Grössenordnung?
Grundsätzlich ja.
Im Nationalrat sitzen im Moment 32 Prozent Frauen.
Das ist knapp in Ordnung. Nach den kommenden Wahlen werden es aber hoffentlich mehr sein.
Im Ständerat sind es sechs Frauen, das macht 13.3 Prozent.
Eindeutig zu wenig. Zumal die einzelne Person im Ständerat viel stärkeren Einfluss hat als im Nationalrat und deshalb mehr bewegen kann. Auch hier braucht es mindestens einen Drittel, also rund 15 Frauen. Es schaut im Moment aber leider nicht danach aus.
Wo sind Sie verhandlungsbereit? Der Hirnforscher Lutz Jäncke meinte, dass unser Gehirn eine minimale Abweichung von der eigenen Meinung toleriere.
Ich könnte mich damit einverstanden erklären, dass man gewissen Wirtschaftszweigen länger Zeit für die Umsetzung gibt. In der Finanzdienstleistung braucht es vielleicht nur fünf Jahre, bis man mindestens einen Drittel Frauen in einer Führungsposition hat, in der Industrie hingegen zwanzig Jahre. Man muss ja berücksichtigen, dass der Fundus an Frauen in der Schweiz unterschiedlich gross ist und je nach Fachgebiet erst aufgebaut werden muss – Stichwort MINT in der Schule.
Was ist nicht verhandelbar?
Die Quote an sich.
Als Mittel zum Zweck.
Ja, deshalb temporär. Als liberale Person hätte ich natürlich viel lieber die Eigenverantwortung der Unternehmen und Institutionen als treibende Kraft gesehen, aber die letzten Jahre haben den Beweis erbracht, dass dies in den meisten Fällen nicht gelungen ist.
Die ETH-Rektorin Sarah Springman meinte: «Komplexe Fragen haben immer eine Reihe von Grautönen.» Das kann man grad beim Thema Frauenquote gut sehen. Sobald man aber eine Position öffentlich vertritt, wird man reflexartig dem weissen oder schwarzen Lager zugeteilt. Ich stelle mir das schwierig vor, wenn man wie Sie beide Seiten gut nachvollziehen kann – im Fall der Frauenquote das Pro der Frauen und das Contra der Liberalen.
Als Liberale gesetzliche Regelungen zu fordern, ist natürlich ein Graus. Da bleiben unangenehme Reaktionen aus den eigenen politischen Reihen nicht aus.
Wie muss man sich das vorstellen?
Ich wurde zum Beispiel nicht mehr zu gewissen Anlässen eingeladen, vor allem zu Beginn der Debatte. Aber das ist kein Problem: Wer für etwas einsteht, muss auch bereit sein, mal anzuecken.
Das braucht Mut.
Eher Gelassenheit. Mut braucht es dann, wenn man wirklich argumentieren muss. Mit Gerhard Schwarz etwa, dem ehemaligen Direktor von Avenir Suisse, führe ich harte, aber hochinteressante Diskussionen. Dabei zeigt sich übrigens: Es reicht nicht aus, sich nur eine Meinung zu bilden – man muss auch eine Haltung dazu entwickeln.
Wie meinen Sie das?
Kürzlich an der Generalversammlung der NZZ machte ich ein Selfie mit der SRF-Direktorin Nathalie Wappler und der Publizistin Katja Gentinetta, stellte es auf Twitter und schrieb dazu: «Wie immer an der #NZZGV – im Rücken von Männern stehen starke Frauen ...» Das wird ein Teil der NZZ-Aktionäre nicht goutieren – gibt der ganzen Sache aber auch eine lustvolle Note.