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Gabrielle Wanzenried

Im Management braucht es mindestens ein Drittel Frauen

Das ermöglicht eine andere Diskussionskultur – und damit mehr Erfolg, meint die Ökonomin Gabrielle Wanzenried.

Frau Wanzenried, Sie beschäftigen sich intensiv mit den Vor- und Nachteilen einer Frauenquote für die Wirtschaft. Wie überzeugt sind Sie davon – von 1 bis 10?
7.

Was ist Ihr Hauptargument?
Das Marktversagen. Man weiss, dass gemischte Teams den Erfolg eines Unternehmens erhöhen. Diversität bezieht sich dabei nicht nur auf das Geschlecht, sondern auch auf das Alter, die berufliche Hintergründe, auf Nationen oder Kulturen. Offenbar sieht das die Wirtschaft aber nicht ein.

Warum genau bringt Diversität wirtschaftliche Vorteile?
Man hat zum einen Effekte gegen aussen hin. Eine Firma mit gemischten Teams ist für viele Arbeitnehmer attraktiver. Es fühlt sich auch eine grössere Bandbreite an Kunden angesprochen.

Und was sind die positiven Effekte gegen innen?
Diversität führt zu mehr Innovation. Das ist auch gut nachvollziehbar: Bei einem bunt gemischten Gremium haben Sie eine viel grössere Meinungsvielfalt. Daraus folgen kritische, im besten Fall konstruktive Diskussionen, welche wiederum die Basis für Innovationen legen.

Das sind ziemlich schlagkräftige Argumente. Wo ist der Haken?
Ein Problem ist sicherlich, dass wir es hier mit mittel- bis langfristigen Effekten zu tun haben. Den wirtschaftlichen Erfolg einer Firma können Sie mit verschiedenen Kennzahlen messen, so zum Beispiel mit dem Aktienkurs. Als in Norwegen eine Frauenquote von 40% angekündigt wurde, hat die Börse aber erstmal negativ reagiert.

Warum?
Weil zunächst einmal hohe Anpassungskosten anfallen. Man muss intern umorganisieren, anders rekrutieren, die Zusammenarbeit mit anderen Firmen neu gestalten. Und Personen mit verschiedenen Hintergründen brauchen auch ein bisschen Zeit, um gut miteinander arbeiten zu können. Das sind die Kosten der Diversität.

Alle komplexen Fragen bestehen aus Grautönen, hat die ETH-Rektorin Sarah Springman gesagt. Das kann man hier gut zeigen: Diversität bringt Vorteile mit sich, aber diese gibt es nicht umsonst.
Kurzfristig muss man mit sicher mit ein bis zwei Jahren Anpassungskosten rechnen. Mittelfristig, nach drei bis fünf Jahren, zeigen sich in der Regel erste Effekte. Und langfristig sowieso – wenn richtig geführt wird.

Nun sollte man laut dem Publizisten Roger de Weck immer auch die besten Argumente der Gegenseite kennen. Was häufig vorgebracht wird: Eine Frauenquote führe zu Quotenfrauen – und denen fehle die Akzeptanz.
In einer deutschen Studie wurde untersucht: Welche Faktoren bestimmen die Einstellung zu einer Frauenquote? Erwartungsgemäss sehen Männer und Konservative die Quote negativer als Frauen und Progressive. Die Studie zeigt aber auch, dass die Akzeptanz mit den gemachten Erfahrungen steigt. Studentinnen sind in der Regel noch eher skeptisch gegenüber einer Quote. Wer hingegen schon eine ungleiche Behandlung erlebt hat, ist der Quote gegenüber positiver eingestellt. Und jene, die in ihrem Unternehmen bereits eine Quote eingeführt haben, sowieso – auch die Männer. Weil sie den Nutzen sehen.

Das würde bedeuten, dass die fehlende Akzeptanz der Quotenfrauen auch zu den kurzfristigen Anpassungskosten gezählt werden kann.
Vermutlich ist es ein wenig komplexer. Denn die Studie zeigt einen weiteren Faktor, der die Einstellung zur Frauenquote beeinflusst: die sogenannte Attribuierung. Dabei wurden die Leute gefragt: Wie erklären Sie sich Ihren beruflichen Erfolg? Jene, die ihn mit Glück, Zufall oder den Rahmenbedingungen in Verbindung bringen, sind einer Quote gegenüber wesentlich positiver eingestellt als solche, die den Erfolg mit den eigenen Fähigkeiten, ihrer Qualifikation und ihrer harten Arbeit erklären.

Durchhaltevermögen braucht es ja zweifellos für eine erfolgreiche berufliche Karriere. Man muss Zeit und Energie investieren. Viele Frauen wollen das gar nicht! Sagen Sie selber.
Sie sprechen unsere Studie im Rahmen des Schweizer Haushalt-Panels an ...

... zu der Sie in einem Medienbericht mit den Worten zitiert wurden: «Frauen haben einfach andere Präferenzen und gewichten das Privat- und Familienleben höher als Männer.»
Da muss man ganz genau hinschauen.Thema der Studie war das subjektive Wohlbefinden von Führungspersonen.Dabei zeigte sich zunächst eine Gemeinsamkeit: Führungspositionen tragen sowohl bei Männern als auch Frauen zum persönlichen Glück bei. Ist ja auch nachvollziehbar: Man verdient besser, hat mehr Gestaltungsmöglichkeiten und Macht.

Aber?
Bei Männern beeinträchtigt der Stress zwischen Beruf- und Privatleben ihr subjektives Wohlbefinden nicht – bei Frauen hingegen schon. Deshalb haben sie weniger Lust auf eine Führungsposition.

Eben: Sie wollen gar nicht!
Nein – sie wollen diese Kosten unter den gegebenen Umständen nicht in Kauf nehmen, das ist ein grosser Unterschied. Entscheidend ist: Warum genau sind sie unglücklich? Der Grund ist nicht der Stress in der beruflichen Tätigkeit selber, sondern der Stress als Folge der mangelnden Vereinbarkeit zwischen Berufs- und Privatleben.

Frauen wollen also grundsätzlich schon Führungsjobs – aber nicht unter diesen Bedingungen.
Man darf natürlich nicht alle Frauen über einen Leisten schlagen, aber ja: 80 Prozent Pensen auf höchster Führungsebene würden schon mal viele Probleme entschärfen. Männer sind ja zum Teil auch mehrere Wochen im Militär oder absolvieren berufsbegleitend einen MBA, sitzen aber trotzdem in den Geschäftsleitungen drin. Das geht also. Wenn aber eine Frau das Kind in der Krippe hat und die Sitzung um 18 Uhr angesetzt wird, dann sorgt das bei ihr natürlich für Stress.

Sitzungen sollten also nur noch zwischen 9 und 16 Uhr stattfinden.
Das wäre eine Möglichkeit, um Familie und Karriere besser in Einklang zu bringen, ja. Das Problem beginnt ja schon im aufstrebenden mittleren Kader. Grad bei vielen Banken ist Präsenz immer noch ein wichtiger Indikator, dann bleiben Sie abends bis um 20 Uhr in der Firma, weil der Chef auch noch da ist. Genau in dieser Phase der Karriere, zwischen 30 und 40 Jahren, verliert man viele Frauen, weil sie ein Problem mit der Vereinbarkeit haben.

Wenn die bessere Vereinbarkeit das Ziel ist – ist dann die Quote das richtige Mittel? Diese zielt ja auf den Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung ab.
Ja, denn wenn die Firmen dort die Quoten erreichen wollen, müssen sie im mittleren und oberen Kader die Rahmenbedingungen ändern. Insofern ist eine Frauenquote Mittel zum Zweck.

Die Quote als Katalysator?
Kann man so sehen, ja.

Den Entscheid des Nationalrats liesse sich so interpretieren. Danach sollen grosse börsenkotierte Unternehmen bis ins Jahr 2022 mindestens 30 Prozent Frauen im Verwaltungsrat und 20 Prozent in der Geschäftsleitung anstreben. Heute sind wir lediglich bei 19 und 7 Prozent. Die Botschaft: Jetzt muss einfach etwas passieren.
Man muss die Unternehmen manchmal ein bisschen zu ihrem Glück zwingen. Und wenn es dann mal nachweislich funktioniert, kann die Quote ja auch wieder abgeschafft werden.

Die Positionen in dieser Diskussion scheinen aber verhärtet zu sein. Laut dem Hirnforscher Lutz Jäncke sollte man immer wieder minimale Abweichungen seiner vorgefassten Meinung durchspielen, um sein Verständnis für andere Sichtweisen zu erweitern. Nehmen wir an, jemand sei gegen die Frauenquote. Wäre es eine Option, sie nur mal in ausgewählten Bereichen anzuwenden?
Das ist ein interessanter Gedanke. Gerade in Geschäftsleitungen muss man ein fundiertes Wissen über die Branche haben. In gewissen Berufen, zum Beispiel in der Maschinenindustrie, hat es einfach zu wenig Frauen mit diesem Know-how, da kann eine Quote auch kontraproduktiv sein.

Das wären dann genau die Quotenfrauen mit fehlender Akzeptanz.
Genau. Aber in jenen Branchen, wo es Sinn macht, muss man die Frauen dafür schon im unteren Kader systematisch aufbauen.

In den USA hat es wesentlich mehr Frauen im Top-Management als bei uns. Sie selber forschten einige Zeit an der renommierten University of California in Berkeley und haben sich deshalb vor Ort ein Bild machen können. Was machen die Firmen in den USA besser?
Sie haben viel bessere Betreuungsangebote für Kinder. Hier in der Schweiz dagegen gibt es noch viele Regionen, wo die Kinder über Mittag heimkommen. Zudem müssen in den USA häufig beide Elternteile arbeiten, ihnen bleibt gar keine andere Wahl. Das ist auch in anderen europäischen Ländern so. In Frankreich heisst es sogar: «Gut, kann die Frau nach einer Babypause wieder arbeiten gehen!» Das ist ein ganz anderes Selbstverständnis. Wenn diese Frauen dann in die Schweiz kommen und hier eine Führungsposition einnehmen, profitieren auch wir davon.

Rekrutieren solche Frauen denn auch vermehrt Frauen?
Tendenziell schon. Ich habe vor Jahren ein Paper in Bezug auf US-Unternehmen verfasst, da zeigte sich ein solcher Netzwerk-Effekt bei den Frauen, und mehrere Frauen können mehr bewirken als eine. Bei uns hingegen spielt der Netzwerk Effekt auch, aber andersherum: Männer rekrutieren Männer.

In den Geschäftsleitungen deutscher Unternehmen gibt es aktuell mehr Männer namens Thomas oder Michael als Frauen insgesamt.
Bei uns sind die Männer die Türsteher. Und wenn man nicht aktiv eingreift und gezielt Frauen an Top-Positionen heranführt und rekrutiert, wird sich das so schnell auch nicht ändern.

In der Politik sieht man jetzt eine solche Aktion: Die Alliance F sucht gezielt per Stelleninseraten Nationalrätinnen. Frauen besetzen dort einen Drittel der Sitze, im Ständerat machen sie sogar nur einen Sechstel aus. Was wäre die kritische Masse in der Wirtschaft?
Alleine in einem Kreis von zehn Männern kann eine Frau erwartungsgemäss wenig bis nichts verändern. Im Management braucht es mindestens ein Drittel Frauen. Das ermöglicht eine ganz andere Diskussionskultur, die geprägt ist durch das kritische Nachfragen, die Macht des besseren Arguments, das gemeinsame Ringen um Lösungen.

Widerspricht das nicht der Schweizer Mentalität? Hier ist man doch vielmehr um einen Konsens bemüht ...
... und der ist natürlich schneller und bequemer erreicht, wenn alle gleichen Geschlechts, gleichen Alters und gleicher Meinung sind. Sehen Sie, das sind genau die Kosten, die entstehen, zumindest in den ersten ein bis zwei Jahren. Das gibt zunächst eine Aufruhr, eine ganz andere Dynamik, die man sorgfältig moderieren muss.

Wäre eigentlich Ihrer Meinung nach die Finanzkrise nicht so stark ausgefallen, wenn mehr Frauen im Topmanagement gewesen wären?
Das wäre jetzt reine Spekulation. Was man aber sicher sagen kann: Frauen haben eine stärkere Risikoaversion, sie treffen andere Anlageentscheide als Männer. Dieses vorsichtige Element hat vermutlich schon gefehlt.

Ich fasse zusammen: Eine Frauenquote würde Firmen zu einer besserer Vereinbarkeit und aktiveren Rekrutierung zwingen. Mehr Frauen in hohen Positionen führen zu mehr Diskussion und Innovation und erhöhen damit den wirtschaftlichen Erfolg. Gibt es auch Länder, die das alles ohne eine Quote geschafft haben?
Ja, England ist ein solches Beispiel. Dort gibt es keine gesetzliche Quote, dafür aber Initiativen von wichtigen Wirtschaftsführern und Meinungsführern aus der Politik, die genau diese Dynamik auslösen.

Sehen Sie in der Schweiz vergleichbare Ansätze?
Es gibt immer wieder einzelne Frauen in Geschäftsleitungen oder Verwaltungsräten bekannter Firmen – aber ein grosses Unternehmen, das hier vollumfänglich mit gutem Beispiel vorangeht, ist im Moment nicht in Sicht. Im Vergleich zu Ländern wie Grossbritannien, Norwegen oder Schweden hinken wir zehn Jahre hinterher.

Schauen wir uns noch kurz die Diskussion als solche an. Worüber haben Sie in den letzten Jahren Ihre Meinung geändert?
Als Ökonomin bin ich zwar grundsätzlich für den Markt, war aber dennoch immer eine Verfechterin einer Frauenquote. Mir ist allerdings noch bewusster geworden, dass jede Regulierung ihre Kosten hat. Deshalb wäre ich vor fünf Jahren vielleicht noch bei 8 gewesen, jetzt bin ich bei 7. Aber die Kosten-Nutzen-Analyse ist immer noch bei weitem positiv – gesellschaftlich und wirtschaftlich.

Zum Schluss darf ich Sie um eine Prognose bitten: Wann haben wir 20 Prozent Frauen in den Geschäftsleitungen von Schweizer Konzernen? Im Moment sind wir bei 7 Prozent.
Mit Quote geht es bis 2030, ohne Quote bis 2045.

Die Fragen.

Wie bildet man sich eine Meinung?

Heute sind auf Knopfdruck so viele Informationen verfügbar wie noch nie. Doch wie bildet man sich eine fundierte Meinung zu einem Thema?

Roger de Weck

Es lebe die langsame Meinungsbildung!

Denn es braucht Zeit, sich ausgewogen zu informieren und dabei eine kritische Meinung zu bilden, meint der Publizist Roger de Weck.

Lutz Jäncke

Unser Gehirn ist nicht für diese Facebook-Welt geschaffen

Die heutige Flut an Informationen ist eine totale Überforderung für unsere Natur. Denn unser Gehirn strebt vielmehr nach Stabilität, sagt der Hirnforscher Lutz Jäncke.

Sarah Springman

Für kritisches Nachfragen bleibt immer weniger Zeit

Gerade in der heutigen Gesellschaft wäre dies aber besonders wichtig. Deshalb braucht es eine Gegenbewegung, sagt die ETH-Rektorin Sarah Springman.

Gabrielle Wanzenried

Im Management braucht es mindestens ein Drittel Frauen

Das ermöglicht eine andere Diskussionskultur – und damit mehr Erfolg, meint die Ökonomin Gabrielle Wanzenried.

Esther Girsberger

In solchen Situationen sind Sie isoliert

Sagt die Publizistin Esther Girsberger und beschreibt damit Erfahrungen von Frauen in Führungspositionen.

Alle Gespräche in einem Band

Heute sind auf Knopfdruck so viele Informationen verfügbar wie noch nie. Doch wie bildet man sich eine fundierte Meinung zu einem Thema?