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Frank Urbaniok

«Es geht um eine Güterabwägung»

Wenn bei einem Täter die Risiken deutlich schwerer wiegen als die Chancen, dann ist er möglicherweise dauerhaft unbehandelbar, sagt der forensische Psychiater Frank Urbaniok.

Herr Urbaniok, die Diskussion über gefährliche Straftäter wird nicht nur von Fachleuten, sondern auch am Stammtisch geführt. Was ist Ihrer Meinung nach der hartnäckigste Irrglaube in der Bevölkerung?
Dass sich durch Therapien nichts am Rückfallrisiko solcher Straftäter ändert.

Was halten Sie dagegen?
Fakten. Es ist wissenschaftlich unumstritten, dass man mit Therapien, in denen man sich mit dem Delikt auseinandersetzt, Risiken senken kann. Da gibt es harte Daten aus unzähligen Studien. Jeder, der will, kann sich die zuhause schwarz auf weiss ansehen.

Ärgern Sie solche Alltagsmythen?
Nein, ich habe sogar ein gewisses Verständnis für solche «gefühlte Wahrheiten»: Es fühlt sich einfach nicht richtig an, dass man mit diesen Verbrechern aufwändige Therapien durchführt und dafür sogar noch Steuergelder ausgibt. Letztlich sollte es aber eine Frage der Vernunft sein. Deshalb sage ich gebetsmühlenartig: 99 % der Gewalt- und Sexualstraftäter werden irgendwann wieder entlassen. Und dann lautet die Frage: Wollen Sie einen therapierten oder einen nicht-therapierten Straftäter in Ihrer Nachbarschaft?

Was auch viele glauben: Je brutaler die Tat, desto gefährlicher der Täter.
Stimmt auch nicht. Die Grausamkeit in der Tatdurchführung sagt nichts über das Rückfallrisiko aus. Ein Beispiel: Schizophrene Täter begehen zum Teil in einer psychotischen Phase grausame Delikte. Wenn Sie diese Menschen aber richtig behandeln, dann sind die Prognosen sogar überproportional günstig. Oder denken Sie an ein Beziehungsdelikt nach einem 30-jährigen Martyrium. Das kann äusserst brutal sein, aber Sie haben ein sehr geringes Rückfallrisiko.

Häufig wird auch auf eine Unvereinbarkeit hingewiesen: Man könne menschliches Verhalten gar nicht über einen langen Zeitraum zuverlässig vorhersagen – lebenslang verwahrt wird aber laut Gesetz nur jemand, der «dauerhaft nicht therapierbar» ist.
Da kann ich gleich ein grundlegendes Missverständnis aufgreifen. Es geht bei solchen Risikoprognosen nicht um die präzise Vorhersage ausgewählter Merkmale eines Täters – also wie seine sexuellen Fantasien oder sein Einfühlungsvermögen in 20 Jahren im Detail sein werden. Das wird man tatsächlich nie exakt vorhersagen können. Sondern es geht um eine Güterabwägung. Vereinfacht gesagt können Sie sich eine Waagschale mit Risiken und Chancen vorstellen. Wenn nun bei einem Täter die Risiken deutlich schwerer wiegen als die Chancen, dann muss man fragen: Kann nach heutiger Einschätzung noch irgendetwas passieren, das eine zukünftige Entlassung verantwortbar machen kann? Und da lautet die Antwort manchmal: nein.

Ein Straftäter ist also dann dauerhaft nicht therapierbar, wenn es höchst unwahrscheinlich ist, dass das Risiko eines Rückfalls in absehbarer Sicht substantiell gesenkt werden kann.
Genau. In dieser Abwägung zwischen Risiken und Chancen sind folgende Fragen zentral: Um welche Delikte geht es? Wie hoch ist die Gefährlichkeit des Täters? Wie sind die Erfolgsaussichten für Veränderungen? Und wie hoch ist am Schluss das Rückfallrisiko?

Wie muss man sich eine Konstellation konkret vorstellen, bei der Sie am Schluss sagen: Da kann nichts mehr passieren, das eine zukünftige Entlassung legitimieren könnte?
Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Erich Hauert hatte zum Zeitpunkt seines damaligen Rückfalls am Zollikerberg neben vielen Eigentumsdelikten zehn Frauen vergewaltigt und zwei umgebracht. Wenn jemand solche Delikte begeht und extrem chronifizierte Persönlichkeitsmerkmale hat – eine stabile Vergewaltigungsdisposition, keine Hemmschwelle zu töten, keine Empathie, ich könnte noch viele weitere Faktoren aufzählen –, dann haben Sie auf der Waagschale der Risiken das Maximum, auf der Waagschale der Chancen das Minimum, und Sie haben bei den Delikten, um die es geht, die höchsten Rechtsgüter. Wenn diese drei Faktoren gegeben sind, ist der Täter für mich lebenslang unbehandelbar und lebenslang zu sichern.

Lassen Sie uns zunächst die Waagschale der Risiken genauer anschauen. Diese ist umso schwerer beladen, je gefährlicher ein Straftäter ist. Wann ist ein Straftäter hochgefährlich?
Wenn seine Gefährlichkeit tief in der Persönlichkeit verankert ist.

Was bedeutet das?
Gewalt- und Sexualstraftäter sind in aller Regel Persönlichkeitstäter. Sie entwickeln die Motivation zum Delikt genuin aus ihrer Persönlichkeit heraus und schaffen sich aktiv Szenarien, um ihre Neigungen auszuleben. Bei Erich Hauert sind es Persönlichkeitsmerkmale wie die Tötungsabsicht, die Vergewaltigungsdisposition, die fehlende Empathie. Bei Situationstätern hingegen ist ein ganz bestimmter, aussergewöhnlicher Anlass der Auslöser für eine Straftat – ein Krieg zum Beispiel.

Und wann ist die Gefährlichkeit besonders tief verankert?
Wenn diese risiko-relevanten Persönlichkeitsmerkmale schon früh in der Entwicklung zu erkennen sind und das Verhalten stark prägen. Je früher, je länger, je differenzierter, je ausgeprägter, je exklusiver, je prägnanter diese Merkmale sind, desto tiefer ist die Gefährlichkeit in der Persönlichkeit verankert. Dann ist das strukturelle, also grundlegende Rückfallrisiko sehr hoch.

Ein typisches Beispiel wäre?
Wenn Sie kernpädosexuell sind, merken Sie das mit 11, 12 Jahren. Also früh. Und es füllt 95 % Ihrer sexuellen Identität aus. Das prägt Ihr Verhalten.

Hat eine Pädosexualität allein schon genug Gewicht, um die Risiko-Seite substantiell zu belasten?
Nein. Es geht bei der Waagschale der Risiken nie um einen einzelnen Faktor. Der klassische Kernpädosexuelle, der sich sexuell ausschliesslich zu Kindern hingezogen fühlt, sagt: Ich will Kindern eigentlich nichts Böses tun. Als Therapeut kann ich dann entgegnen: «Schauen Sie, es ist so, wie wenn Sie mit 200 km/h durch die Stadt fahren. Ich kann Ihnen nicht sagen, dass etwas passiert, aber Sie können es auch nicht ausschliessen. Sie setzen die Kinder einem erhöhten Risiko aus.» Darauf gehen viele Pädosexuelle ein.

Wann ist eine Pädosexualität besonders gefährlich?
Es gibt ausgeprägt Kernpädosexuelle, die eine Art ideologische Mission vertreten und sagen: Nicht mein Verhalten ist das Problem, sondern die Gesellschaft hat ein Problem, wenn sie das nicht erlaubt. Wenn diese delinquenzfördernde Weltanschauung stark in der Persönlichkeit verankert ist, wird das Risiko schon bedeutend höher.

Warum?
Weil diese Täter keine authentische Motivation aufbringen, dagegen anzugehen.

Was muss in solchen Fällen in der Waagschale der Chancen sein, um das Risiko dennoch langfristig zu senken?
Wichtig sind Steuerungsfähigkeiten, etwa in Form einer stabilen Schwelle zwischen Fantasie und Handlung. Dazu gehört: Der Täter erkennt Risikosituationen früh – Schule, Spielplatz, Schwimmbad –, und es macht ihm keine Mühe, ihnen aus dem Wege zu gehen. An solchen Kompensationsmechanismen bemisst sich der Therapieerfolg.

Funktioniert dieser Ansatz auch bei anderen Risikogruppen, zum Beispiel bei Sadisten?
Auch eine sadistische Devianz allein hat noch keine schlechte Prognose zur Folge, sofern der Täter eine Schwelle zwischen Fantasie und Handlung aufbauen kann. Man darf nicht vergessen, dass es viele sadistisch veranlagte Menschen gibt, die ihre Neigungen in einem legalen Bereich ausleben, zum Beispiel in der Sadomaso-Szene, im Einverständnis mit Erwachsenen, die urteilsfähig sind. Nur der kleinere Teil begeht Straftaten. Bei diesen wird es in der Tat dann schwieriger, therapeutische Ansätze zu finden, mit denen das Rückfallrisiko entscheidend gesenkt werden kann.

Was müsste alles in der Waagschale des Risikos sein, damit Sie bei einem Gewalt- oder Sexualstraftäter sagen: Da ist es extrem schwierig, ein substantielles therapeutisches Gegengewicht zu finden?
Stellen Sie sich zum Beispiel einen sadistischen Täter vor, der seine Opfer schwer vergewaltigt, sie quält, demütigt und genau aus den Schmerzen, den Hilferufen, dem Betteln des Opfers seine Befriedigung zieht. Er lebt in den Taten Fantasien aus, die sich über Jahre hinweg sukzessive gesteigert haben. Am Anfang hatte er sie ab und zu, später hat er dazu masturbiert, und jetzt dringt es in seinen Alltagsbereich ein, nicht nur zuhause, sondern auch beim Job. Wenn diese drei Merkmale – Sadismus, Vergewaltigungsdisposition, chronifizierte Fantasien – zusammenkommen, kann dies eine Deliktdynamik auslösen, die auf einen sehr gefährlichen Täter hindeutet.

Der Kriminalpsychologe Thomas Müller hat im Rahmen dieser Gesprächsreihe ausgeführt, was genau in seine Analyse des Tatverhaltens einfliesst, um die Gefährlichkeit eines Täters einzuschätzen. Welche Fragen würden Sie ihm in Bezug auf den Sadisten stellen?
Mich würde etwa der Aspekt der Kontrolle interessieren. Je geplanter, detailgetreuer sein Tatverhalten war, desto mehr ist es in seiner Persönlichkeit verankert. Zweitens: sein Umgang mit dem Opfer. Spielte das Opfer noch eine Rolle als Mensch oder war es nur noch Objekt, mit dem er etwas machte? Reagierte der Täter darauf, wenn das Opfer Angst hatte, sich wehrte? Wurde der Widerstand des Opfers sofort brutal gebrochen oder eskalierte das Gewalterhalten sukzessive? Drittens würde mich auch die Motivationsintensität interessieren.

Was meinen Sie damit?
Es gab den realen Fall eines Täters, der durch den Keller in ein Haus eindringen wollte. Plötzlich ging eine gelbe Lampe an. Er wollte sie wieder ausmachen, drückte jedoch versehentlich einen Schalter, der einen Kompressor anwarf, worauf ein lautes Rattern ausbrach. Was machte der Täter jetzt? Er ging vor die Tür, überprüfte, ob es laut war, nein, es war nicht laut, machte die Tür wieder zu und ging wie ursprünglich geplant weiter ins Haus. Wenn er nicht eine wahnsinnig hohe Motivationsintensität gehabt hätte, hätte er beim lauten Rattern abgebrochen. So finden Sie aus dem Deliktverlauf eine Fülle von Informationen, die etwas darüber aussagen, wie ausgestaltet und differenziert die Fantasien sind, wie sehr das jemand will und wie durchgeplant die Tat war.

Der breiten Öffentlichkeit fällt es vermutlich sehr schwer, hier noch Therapiemöglichkeiten zu erkennen. Wo setzen Sie an?
Mit solchen Tätern arbeiten wir unter anderem an der Kontrolle ihrer Fantasien.

Wie muss man sich das vorstellen?
Wir entwickeln mit ihnen zum Beispiel einen mentalen Film ihrer Fantasien. Ein Kino im Kopf. Sie müssen dann lernen, diesen Film mit der Stopptaste anzuhalten, bevor es gewalttätig wird. Das trainieren sie in verschiedenen Situationen – im Erfolgsfall können sie auch ihr Masturbationsverhalten abbrechen, wenn darin gefährliche Fantasien vorkommen.

Das läuft ja alles im Kopf der Leute ab – wie können Sie kontrollieren, ob das funktioniert?
Das kann man nicht mit absoluter Sicherheit. Aber es gibt deutliche Hinweise, denn jemand, der im Kopf zu 80 % seiner Zeit sadistische Fantasien hat, bewegt sich auch sozial nicht mehr normal. Das ist ein Teufelskreis: Je häufiger man solche Fantasien hat, desto mehr zieht man sich zurück – und desto mehr fährt man fort, diese Fantasien weiterzuentwickeln. Deshalb ist es auch eine Voraussetzung für den Therapieerfolg, dass der Täter sagt: Ich habe da ein Riesenproblem, ich muss das ändern.

Nun können kriminelle Fantasien ja eine ungeheure Kraft entfalten. Ein mehrfacher Mörder hat es gegenüber Thomas Müller wie folgt beschrieben: «Meine Fantasien sind wie ein Schloss mit tausend Räumen. Hinter jeder Tür ist es so interessant, dass ich unbedingt einen weiteren Raum sehen will, und dann noch einen und noch einen.» Was wollen Sie einem solchen Menschen anbieten, damit er sein Schloss verlässt?
Die Frage ist absolut berechtigt. Es wird in der Tat solche geben, die ihr Schloss niemals verlassen, weil die Realität nie so einen Kick geben kann wie die Fantasie. Und Sie werden das nie über eine abstrakte Zielsetzung erreichen. Aber manchmal gelingt es.

Und was bieten Sie diesen Leuten konkret an?
Es muss dem Menschen emotional etwas bedeuten. Manche haben vielleicht ein grosses Bedürfnis, in ihrem Leben etwas zu schaffen, sich unabhängiger zu machen. Es ist vergleichbar mit einem Drogenabhängigen: Es wird nicht so geil sein wie die Drogen, aber jene, die abstinent bleiben, sagen: Ich habe es geschafft. Das ist dann auch eine Emotion, aber eine andere. Es geht um diesen inneren emotionalen Deal in einer Person.

Das grosse Problem besteht vermutlich darin, diesen Deal lebenslang aufrechtzuerhalten.
Deshalb ist die Nabelschnur zum Therapeuten etwas ganz Wichtiges. Manchmal kommen diese Leute nach fünf Jahren wieder mit einem Problem zu uns. Die Therapien bei sehr rückfallgefährdeten Täten sind ein langfristiges Risiko-Management. Wir haben niemanden mit einem Risiko von null.

Ich halte fest: Es gibt auf der Risiko-Seite kein einziges Merkmal, das automatisch eine Nicht-Therapierbarkeit nach sich zieht.
Nein. Bei einem ausgeprägten Sadismus haben Sie zweifellos ein grosses Problem auf dem Tisch, aber nicht automatisch eine dauerhafte Nicht-Therapierbarkeit. Es gibt zwar Fachkollegen, die sagen, ab einem bestimmten Psychopathie-Wert kann man nicht mehr therapieren. Das sehe ich aber nicht so.

Zumal man einwenden könnte, dass man dann einfach noch nicht die richtige Therapie gefunden hat. Der Hirnforscher Niels Birbaumer will Psychopathen mittels Neurofeedback beibringen, sich zu fürchten.
Die fehlende Furcht vor Konsequenzen ist ein zentrales Merkmal von Psychopathen, so weit kann ich den Ansatz von Herrn Birbaumer nachvollziehen. Allerdings wird es der Komplexität von Deliktmechanismen überhaupt nicht gerecht, wenn man denkt: Da ist die eine Schraube, an der muss ich drehen, dann ist der Mensch ein anderer. Was dazukommt: Gerade die Furchtlosigkeit lässt sich sogar therapeutisch verwenden.

Wie meinen Sie das?
Psychopathen sind emotionsarm und stark rational gesteuert. Dadurch laufen sie Gefahr, sich zu überschätzen und Folgen zu unterschätzen. Für ihr Leben hat dies insgesamt starke Nachteile, die kriminellen Psychopathen sitzen ja in der Regel jahrelang im Gefängnis. Diese negative Bilanz können die Täter rational nachvollziehen. Wenn man ihnen nun eine Art Gebrauchsanweisung zu ihrer Psychopathie gibt, kann das helfen, ihre Deliktmotivation langfristig zu senken. Das ist von aussen betrachtet eine blutleere Diskussion, kann aber sehr viel bringen, weil Sie gute Argumente haben. Manchmal unterscheiden sich Menschen gar nicht so sehr in ihren prägnanten Eigenschaften, sondern dadurch, wie sie diese ins Leben einbringen.

Erfolgreichen Managern und Politikern werden auch psychopathische Züge nachgesagt, wenn sie sogar Entscheidungen von grösster Tragweite kühl und emotionslos treffen.
Das ist ja eine sehr populäre These, der ich aber sehr skeptisch gegenüberstehe. Wenn sich Peer Steinbrück und Angela Merkel in der Finanzkrise hinstellen und sagen, die Sparguthaben der Bürger seien sicher – wohlwissend, dass sie das gar nicht richtig garantieren können –, dann ist das in den Grundzügen stark von Verantwortung geprägt. Der Psychopath hingegen würde sich aber nie aufgrund des Verantwortungsgefühls für seine Mitmenschen in solcher Weise engagieren und einem persönlichen Risiko aussetzen.

Sie sagen, es braucht eine starke und stabile Diskrepanz zwischen Risiken und Chancen, damit ein Straftäter nicht therapierbar ist. Können Sie zuverlässig einschätzen, wann dies der Fall ist
Ja. Ich kann Ihnen ein konkretes Beispiel aus dem Kanton Zürich nennen. Zwischen 1997 und 2002 mussten acht hochgefährliche, nicht therapierbare Straftäter mit endlichen Freiheitsstrafen aus juristischen Gründen freigelassen werden. Allen Tätern wurde von Fachleuten ein sehr hohes Rückfallrisiko attestiert. Und leider wurden dann auch alle acht Hoch-Risiko-Täter innerhalb eines Jahres einschlägig rückfällig.

Was waren das genau für Delikte?
Der eine Täter hatte drei Tage nach seiner Freilassung einen Mord sowie einen versuchten Mord auf seinem Konto. Bei einem zweiten Täter waren es nach vier Monaten vier Vergewaltigungen. Ein dritter Täter nahm während 17 Monaten über zehn sexuelle Handlungen an Kindern vor. Insgesamt hatten diese acht Täter 24 Opfer schwerer Gewalt- und Sexualdelikte zu verantworten. Heute sind sieben Täter verwahrt, einer hat Suizid verübt.

Haben diese Hoch-Risiko-Täter etwas gemeinsam?
Es gibt Ähnlichkeiten, aber es gibt kein bestimmtes Merkmal, das man bei allen finden würde. Sie haben da den chronifizierten Pädosexuellen drunter, den dissozialen psychopathischen Gewalttäter ... Was alle haben ist die Kombination dieser drei Faktoren: schwere Delikte, hohe Gefährlichkeit, sehr geringe Beeinflussbarkeit.

Wie viele dieser hochgefährlichen, nicht therapierbaren Straftäter gibt es?
Die sind extrem selten. Bei der damaligen Studie waren es 8 von ca. 400. Insgesamt handelt es sich wohl um weniger als 5 % der gefährlichen Gewalt- und Sexualstraftäter.

Welches sind Ansatzpunkte, damit solche hochgefährlichen, unbehandelbaren Straftäter zukünftig noch besser identifiziert werden können?
Bei den Risikokalkulationen müssten die zuständigen Fachleute enger begleitet werden – auch technologisch. Wir haben ja ein eigenes forensisches Prognose-Instrument entwickelt, das sogenannte Fotres. Dieses enthält Plausibilitätsprüfungen, bei denen allfällige Inkonsistenzen der Dateneingabe angezeigt werden. Wie bei einem Puzzle, bei dem Sie merken: Hier fehlen drei Teile.

Was könnte die Forschung beitragen?
Sie könnte uns dabei helfen, die risiko-relevanten Persönlichkeitsmerkmale noch genauer zu kennen. Wenn wir zum Beispiel neurowissenschaftlich messen könnten, ob individuelle destruktive Fantasien überhaupt therapeutisch zugänglich sind, dann wäre das ein grosser Fortschritt. Deshalb verfolge ich Studien wie jene von Niels Birbaumer mit grossem Interesse. All diesen Ansatzpunkten übergeordnet ist aber das Ziel einer breiten Qualitätssicherung: Wenn wir das, was wir heute wissen, in zehn Jahren flächendeckend umgesetzt haben, haben wir schon sehr viel erreicht.

Wie würde sich das konkret zeigen?
Es würde uns insgesamt dabei helfen, das Rückfallrisiko hochgefährlicher Straftäter weiter zu senken. Aber wir werden es nie auf null runterbringen.

Die Fragen.

Wann ist ein Straftäter nicht therapierbar?

Ein Straftäter wird lebenslang verwahrt, wenn er dauerhaft nicht therapierbar ist. Doch was genau braucht es dafür?

Niels Birbaumer

Alle Psychopathen sind therapierbar

Theoretisch. Aber wir wissen noch nicht genau, welche Massnahmen in der Praxis wirksam sind, räumt der Tübinger Hirnforscher Niels Birbaumer ein.

Thomas Müller

Was hat der Täter getan, was er nicht hätte tun müssen?

Diese nicht-erforderlichen Entscheidungen sagen viel über die Bedürfnisse eines Täters aus. Und über seine Gefährlichkeit, sagt der Kriminalpsychologe Thomas Müller.

Frank Urbaniok

Es geht um eine Güterabwägung

Wenn bei einem Täter die Risiken deutlich schwerer wiegen als die Chancen, dann ist er möglicherweise dauerhaft unbehandelbar, sagt der forensische Psychiater Frank Urbaniok.

Marc Graf

Risikoprognosen für Straftäter sind unscharf

Würde man in der Physik mit dieser Irrtumswahrscheinlichkeit arbeiten, würden alle Raketen vom Himmel fallen, sagt der forensische Psychiater Marc Graf.

Thomas Noll

Man muss den Haftverlauf des Täters genau beobachten

So besteht der Sinn von Strafvollzugslockerungen gerade darin, dass man überprüfen kann, wie gut das Erlernte umgesetzt wird, sagt Thomas Noll, Direktor des Schweizerischen Ausbildungszentrums für das Strafvollzugspersonal.

Alle Gespräche in einem Band

Ein Straftäter wird lebenslang verwahrt, wenn er dauerhaft nicht therapierbar ist. Doch was genau braucht es dafür?