Inwieweit kann man von aussen her Einfluss nehmen auf diese innere Uhr?
Durch die sogenannten «Zeitgeber» kann die innere Uhr jeden Tag neu adjustiert werden, allerdings auch nur zu einem gewissen Grad. Der wichtigste Zeitgeber ist helles Licht am Morgen früh, welches die Produktion des Schlafhormons Melatonin unterdrückt. Weitere Faktoren sind die körperliche Aktivität und auch die regelmässigen Mahlzeiten. Wichtig ist es zudem, neben dem Schlaf-Wach-Rhythmus auch die korrekte Dauer des Schlafes zu beachten – man sollte nicht zu kurz, aber eben auch nicht zu lange im Bett sein.
Wenn Sie Licht als wichtigsten Zeitgeber erwähnen, dann denken die meisten vermutlich sofort an die elektronischen Geräte, die gerade bei Jugendlichen allgegenwärtig sind am Abend.
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Gerade Jugendliche sind abends ganz viel Blaulicht ausgesetzt – über das TV-Gerät, den Computer, das Smartphone. Dieses Blaulicht wird vom Gehirn als Tageslicht interpretiert und unterdrückt somit die Produktion des Schlafhormons Melatonin zum falschen Zeitpunkt.
Was kann man dagegen tun?
Es gibt spezielle Brillen, welche dieses Blaulicht herausfiltern oder auch kostenlose Programme für den Computer, welche den Blauanteil am Bildschirm unterdrücken, wie zum Beispiel f-lux.
Würde eine Schutzbrille ausreichen, um das Herunterfahren der Jugendlichen merklich zu verbessern?
Nein, meines Erachtens nicht. Das ist zwar alles theoretisch einleuchtend, aber aus meiner Erfahrung heraus würde ich behaupten, dass dies nicht der entscheidende Faktor ist. Die psychosoziale Aktivierung am Abend durch die Tätigkeit am Bildschirm hat vermutlich die grösseren Einflüsse auf den Einschlafprozess als das Blaulicht vom Bildschirm.
Können Sie das mit einem Beispiel verdeutlichen?
Entscheidend scheint mir eher zu sein, was viele Jugendlichen in den Stunden vor dem Schlaf typischerweise machen: Sie gehen in den Ausgang, sitzen am Computer oder kommunizieren über ihre Smartphones. Das sind alles Aktivitäten, die dem Gehirn eben nicht signalisieren, dass jetzt dann der Schlaf eintreten sollte, im Gegenteil.
Nun scheint es eher unrealistisch zu sein, dass Jugendliche abends ihr Smartphone weglegen und stattdessen ein Buch zur Hand nehmen. Was wäre aus Ihrer Sicht ein pragmatischer Lösungsansatz?
In Bezug auf Jugendliche habe ich auch keine Patentlösung. Ich kann Ihnen aber sagen, wie wir Patienten beraten. Dort arbeiten wir zum Beispiel mit Ritualen. Wer die drei Stunden vor der Bettzeit immer ähnlich verbringt, hat die besseren Chancen, einzuschlafen. Je später der Abend, desto mehr ruhige Aktivitäten sollten diese Rituale dabei prägen.
Können Sie ein Beispiel geben?
Man kann etwa sogenannte Sorgenzettel in sein Abendritual einbauen. Die sind einfach, aber wirkungsvoll. Dabei schreibt man die drei wichtigsten Sachen, die man am nächsten Tag erledigen will, auf einen Zettel und legt diesen weit weg vom Schlafzimmer. Falsch wäre es hingegen, solche inneren oder auch äusseren Konflikte spät abends noch abzuhandeln. Häufig empfehlen wir auch Entspannungsübungen, die dauern zum Teil nur fünf Minuten und eignen sich gut als Rituale.
Das klingt einfach ...
... ist aber nicht zu unterschätzen. Viele machen den Fehler, dass sie solche Entspannungsmethoden von Beginn weg gleich am Abend anwenden, ohne sie schon richtig zu beherrschen. Meinen Patienten sage ich dann jeweils: «Wenn Sie Skifahren lernen, fahren Sie ja auch nicht sofort die Lauberhorn-Abfahrt hinunter.» Man soll auch die Entspannungsübungen zunächst tagsüber einüben. Erst wenn dies erfolgt ist, setzt man sie im nächsten Schritt am Abend ein.
Wie gelingt das Hochfahren am frühen Morgen am besten?
Jugendliche, die gesündigt haben, weil sie zu spät ins Bett gegangen sind, befinden sich häufig in einem Teufelskreis: Sie können am Abend nicht einschlafen; müssen am nächsten Morgen für Ihre Verhältnisse viel zu früh in die Schule; zeigen dort Anzeichen einer Tagesschläfrigkeit, die nicht mehr kompensierbar ist; dies führt zu schlechten Leistungen; diese wiederum erhöhen den Stress; und dieser bewirkt, dass sie abends noch schlechter einschlafen.
Wo sehen Sie einen Fluchtweg aus diesem Teufelskreis?
Ich würde zum Beispiel beim Schulbeginn ansetzen. Je später der Schulbeginn, desto niedriger wäre der Schlafdruck am Vormittag. Es gibt Studien aus den USA, die ganz eindeutig zeigen, dass sich ein späterer Schulbeginn positiv auf die Leistungsfähigkeit der Jugendlichen auswirkt.
Wann sollte der Unterricht konkret beginnen?
Das wird in der Schweiz politisch kaum machbar sein, trotzdem meine ich: Ein Schulbeginn um 9 Uhr wäre eine sehr grosse Hilfe.