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Verena Steiner

Unterbrechungen sind die grössten Konzentrationskiller

Der Schlaf hilft beim Lernen – doch nur, wenn man den Inhalt tagsüber klug aufgenommen hat. Wie das geht, weiss die Lernexpertin Verena Steiner.

Verena Steiner, Sie haben darum gebeten, dass wir dieses Interview schriftlich führen. Weshalb?
Weil ich die Fragen zunächst einmal überschlafen möchte. Schlaf hilft nicht nur bei Lernprozessen, sondern auch beim Beantworten von Fragen sowie generell bei jeglicher Form der Kopfarbeit wie Schreiben, Planen, Konzepte erarbeiten oder Probleme überdenken und Lösungen finden. Beim Überschlafen klärt sich so manches, wir können intuitive Einfälle haben, aber auch geistigen und emotionalen Abstand gewinnen und die Dinge besser überblicken. 

Was sind Ihre spontanen Assoziationen zum Lernen im Schlaf?
Das Schlagwort «Lernen im Schlaf» höre ich nicht gerne, denn es kann zu Missverständnissen führen. Die Informationsaufnahme, der Input, kann nur im Wachzustand erfolgen. Nach meiner Auffassung gehören sowohl Input als auch Verarbeitung sowie der Output zum Lernprozess. Im Schlaf wird die Verarbeitung unterstützt, das heisst, der Input wird, zusätzlich zur vorangehenden bewussten Verarbeitung, unbewusst weiter geklärt, vernetzt und gefestigt - zumindest dann, wenn der Lernreiz im Gehirn genügend stark war.

Was kann man tun, wenn man einen Lernstoff einfach nicht interessant findet?
Interesse bedeutet Offenheit, innere Beteiligung, eine Beziehung zum Stoff aufbauen – und all dies lässt sich entwickeln. Zur Illustration möchte ich zwei Zitate von Studierenden aus meinem Buch «Lernpower» vorlegen. Das erste Zitat: «Durch Gerüchte und meine persönliche negative Einstellung war mir Strafrecht unsympathisch, das Buch schreckte mich ab. Als ich in den Vorlesungen nicht mehr folgen konnte, fing ich an, mich in das Thema hineinzuknien, nachzulesen und mitzudenken. Und siehe da: Das Buch entpuppte sich als sehr gut und Strafrecht als höchst spannend! Strafrecht ist nun eines meiner zwei Lieblingsfächer.» Und grad noch das zweite Zitat: «Wegen der Chemie habe ich eine Prüfung nicht bestanden und dann eine riesige Antipathie gegenüber dem Fach entwickelt. Doch ich wusste, dass ich sowieso wieder mindestens zehn Stunden pro Woche mit Chemie verbringen würde. Wieso sollte ich es mir also noch schwerer machen? Ich versuchte, Chemie nicht als doofes Fach anzusehen – sondern als ein Geheimnis, das es zu lüften galt. Und plötzlich war ich offen und merkte, dass es gar keine Hexerei ist.»

Wie versetzt man sich in eine positive Lernstimmung?
Was mich brennend interessiert ist für mich auch emotional bedeutsam. Es geht also auch hier darum, geistig offen zu sein, Interesse für ein Gebiet zu entwickeln, einen persönlichen Link zu schaffen, sich dafür zu motivieren. Bereits Sympathie für den Statistikdozenten kann da Wunder wirken, von heimlichem Verliebtsein gar nicht zu reden. Ansonsten kann man ihn zumindest fragen, was ihn an seinem Gebiet fasziniert und sich von den Erläuterungen inspirieren lassen. Der Mensch ist ein soziales Wesen, und es hilft oft enorm, den Lernstoff mit andern zu besprechen und auch mal zusammen zu lachen! So schrieb eine Studentin in einer meiner Befragungen: «Wenn man sich in Gruppen gegenseitig etwas erklärt, ist es oft lustig, wie sich die andern etwas vorstellen. Natürlich muss man da auch ab und zu lachen. Interessanterweise bleibt einem alles viel besser, wenn man sich über ein bestimmtes Thema amüsiert hat.»

Jeder Mensch kennt Themen und Begriffe, die regelrechte Abwehrreflexe auslösen – bei mir sind das etwa Ölindustrie, Römerzeit oder Elektronenpaare. Kann man das umpolen?
Die eine Möglichkeit wurde bereits erwähnt: Sich erst recht in das Thema hineinzuknien und sich sozusagen mit dem Essen den Appetit zu holen. Man kann sich aber auch ganz pragmatisch auf das Notwendige begrenzen und stattdessen, statt auf der Ebene der Inhalte, auf der Ebene des Lernprozesses ansetzen und sein eigenes Lern-Knowhow erweitern. Dabei geht es darum, sich über zusätzliche Methoden und Lernstrategien schlau zu machen, sich frische Ideen und mehr Hintergrundwissen zu verschaffen, mit seinen Vorgehensweisen zu experimentieren und Neues auszuprobieren. Je mehr man über gute Lernmethoden weiss, je besser man das Lernen kann, desto mehr Freude hat man daran! Mit einer grösseren Palette an Lernstrategien fällt es einem insbesondere auch bedeutend leichter, schwierige oder weniger geliebte Themen anzugehen. 

Wie findet man die innere Ruhe zum Lernen?
Da ist zunächst einmal äussere Ruhe wichtig, um dann auch innerlich zur Ruhe zu kommen. Hilfreich sind dabei Ohrstöpsel mit einem elektronischen noise cancelling System. Es sind wahre Wunderdinger, denn damit verschafft man sich im Zug, im Grossraumbüro oder eben in der Bibliothek die nötige Ruhe, um abzuschalten und ganz bei der jeweiligen Aufgabe zu sein. Ich nutze diese Ohrstöpsel oft auch im Fitnessraum. So bin ich wie in einem Kokon und kann mich ganz auf die Körperwahrnehmung konzentrieren; es ist wie eine dynamische Meditation.

Was sind die häufigsten Fehler, die beim Lernen gemacht werden?
Mit Abstand der grösste Konzentrationskiller sind Unterbrechungen wie Anrufe, angekündigte Messages und Mails. Dies zeigte eine Umfrage, die ich bei Managern durchführte. Allerdings fällt es manchen schwer, für anspruchsvolle Aufgaben eine Weile offline zu sein; sie meinen, etwas zu verpassen. Studierende nannten dazu noch häufig fehlende äussere und innere Ruhe sowie mangelnde persönliche Organisation. 

Wie wichtig ist Schlaf für den Lernerfolg?
Wohl jeder und jede hat schon die Erfahrung gemacht, dass man nach dem Überschlafen plötzlich etwas begreift oder eine neue Lösung sieht. Dies kann man auch ganz bewusst nutzen, indem man öfter in Runden arbeitet und das Gelernte, Geplante oder Geschriebene – auch kritische Mails! – nochmals überschläft. Ich nutze zum Beispiel in Manuskriptphasen das Mittagsschläfchen nicht nur, um nachher wieder einen wachen Kopf zu haben, sondern oft auch, um die plausibelste Abfolge der wichtigen Punkte in einem Text zu finden. Mit dieser Absicht im Hinterkopf führe ich mir vor dem Einnicken meine Notizen mit den Stichworten zum Kapitel nochmals zu Gemüte und geniesse dann das süsse Wegkippen. Wenn ich nach einer halben Stunde erwache, ist die einleuchtendste Reihenfolge eigentlich immer da. 

Sie unterscheiden Kurzpausen (5 Minuten), Teepausen (15 bis 20 Minuten) und Regenerationspausen (mindestens zwei Stunden). Was macht eine gute Pause aus?
Wer konzentriert lernt, braucht auch während des Lernens öfter Kurz- und Kürzestpausen, damit sich sowohl der Geist als auch der Körper immer wieder entspannen können. So ist nach rund 45 Minuten eine etwa 5-minütige Pause empfehlenswert, und nach weiteren rund 45 Minuten braucht es meistens eine längere Pause von 15 bis 20 Minuten. In dieser Pause sollte der Geist auf Freilauf schalten können. Gut tut des weitern körperliche Bewegung, wie eine Runde ums Haus oder Treppensteigen. Auch ein kleiner Snack und ein Getränk dazu machen fit für die nächste Lernsession.



Was sind häufige Fehler, die bei der Gestaltung von Teepausen gemacht werden?
Unklug ist es, in einer solchen Pause heftige Diskussionen zu führen, Messages zu bearbeiten oder rasch die News zu checken, das heisst, das Gehirn mit neuer Information zu überfluten. Bei langweiligem Lernstoff kann hingegen eine kurze Unterhaltung oder gar ein kleiner Flirt anregend sein. Was oft viel zu kurz kommt, ist der körperliche Ausgleich. Dehnen und strecken entspannt; den Puls kurz hochjagen belebt. Mit einer guten, realistischen Selbstwahrnehmung merkt man rasch, was gut tut, und was nicht.

Gibt es unterschiedliche Lerntypen?
Ich spreche lieber von unterschiedlichen Lern- und Denkstilen. Damit sind die generellen Herangehensweisen, Gewohnheiten und Präferenzen beim Erwerb von Wissen gemeint. Dabei unterscheide ich zwischen sensorischen Präferenzen, also Präferenzen in der Sinneswahrnehmung - auditiv, visuell, kinästhetisch-taktil - und zwischen Präferenzen punkto Lern- und Denkstil. Besonders bei Begabten plädiere ich dafür, nicht allzu einseitig auf seine Präferenzen zu setzen, sondern unterschiedliche Sinneskanäle und Denkstile zu pflegen. Beim Sprachenlernen zum Beispiel wird der Input via Ohr viel zu wenig genutzt. Deshalb gehe ich in meinem Buch "Sprachen lernen mit Power" vertieft auf die sensorischen Präferenzen ein und zeige auf, was öfteres Hören auch bei visuellen Lernerinnen und Lernern bringen kann. 

Wie findet man heraus, welche Lern- und Denkstile zu einem passen?
Ich finde das Denkstilmodell nach Ned Herrmann am nützlichsten. Kurz gesagt, werden in diesem Modell vier unterschiedliche Denkstile unterschieden, die bei einem Individuum je nach Begabung und Gewohnheit unterschiedlich stark ausgeprägt sein können und sich auch im Lernstil – sowie zusammengenommen im Lerntyp - äussern. So steht dem logisch-rationalen Denkstil der emotional-expressive gegenüber; während der ganzheitlich-konzeptionelle Stil das Pendant zum sequentiell-analytischen Stil bildet. Bei vielseitig Begabten sind die Präferenzen oft ziemlich ausgeglichen, während bei einseitig Begabten ein oder zwei Präferenzen vorherrschen. In meinem Buch «Exploratives Lernen» gehe ich näher auf die unterschiedlichen Präferenzen und die jeweils günstigen Lernstrategien ein.

Nehmen wir an, diese verschiedenen Lerntypen möchten sich die Inhalte dieses Magazins so gut wie möglich merken. Wie gehen die einzelnen Typen vor?
Zugespitzt kann man es so formulieren: Der logisch-rationale Typ ist ein guter Denker; er (oder sie) sieht sofort das Wesentliche und kann sich klar und mit wenigen Worten ausdrücken. Er achtet auf die wichtigsten Aussagen und denkt beim Lesen auch kritisch mit. Der sequentiell-analytische Typ mag gut strukturierte Inhalte und ist deshalb nicht so motiviert, sich das Wissen aus drei unterschiedlichen Interviews zusammenzusuchen. Dazu ist auch er kritisch und findet die Antworten oft unzulässig stark verkürzt. Dem emotional-expressiven Typ hingegen entspricht die Interviewform. Dies besonders dann, wenn es darin um persönliche Erfahrungen geht. Damit er sich die eher theoretischen Aussagen merken kann, bespricht er sie stets mit seinen Lernkollegen. Der ganzheitlich-konzeptionelle Typ lässt sich durch die Interviews inspirieren. Er zeichnet die wesentlichen Aussagen aus den Texten in einer Mindmap auf, um sich einen Überblick zu verschaffen und um die für ihn wichtigsten Punkte auf einen Blick zu erfassen.

Der nächste Gesprächspartner in dieser Reihe ist der Schlafmediziner Johannes Mathis. Was würden Sie persönlich ihn gerne fragen? 
Mich interessiert, wie er es persönlich mit einem Nickerchen untertags hält. Falls er keines macht, wie er es begründet.

Die Fragen.

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